Das Schneiderlein und die drei Hunde
Märchen aus Hessen
Ein armes Schneiderlein hatte zu Hause nichts zu verlieren und ging auf Reisen. Es war schon lange marschiert, da kam es eines Tages in einen großen, dunklen Tannenwald, und es pfiff und sang und war von Herzen vergnügt.
Als es eine kurze Strecke im Walde gegangen war, kam ein großer Hund dahergelaufen, der bot dem Schneider die Zeit und fragte, ob er ihn mitnehmen wolle.
»Ich will dich schon mitnehmen, wenn du hinter mir herlaufen und mir untertänig sein willst.«
»Das will ich«, sprach der Hund und lief hinter ihm drein. Als das 'Schneiderlein ein Stück Wegs weitergegangen war, kam ein zweiter Hund gelaufen, bot ihm die Zeit und fragte, ob es ihn mitnehmen wolle.
»Eigentlich habe ich mit einem Hunde schon zuviel«, sprach das Ritterlein von der Elle, »wenn du mir aber untertänig und gehorsam sein willst, so magst du hinter mir herlaufen, dem anderen zur Gesellschaft.«
»Das will ich«, sagte der Hund.
So ging's weiter, und als die drei Reisenden wieder ein Stück Wegs hinter sich hatten, kam ein dritter Hund, der fragte auch, ob das Schneiderlein ihn mitnehmen wolle. Da stutzte es aber, denn es wusste schon nicht, woher er das Futter für die zwei anderen Hunde nehmen sollte. Doch dachte es zuletzt: Aller guten Dinge sind drei, und sagte zu dem Hunde: "Wenn du mir treu und untertänig sein willst, magst du in Gottes Namen hinter mir herlaufen, wie die beiden anderen.«
Gegen Abend kamen sie aus dem Walde und sahen ein Dorf vor sich, und das erste Haus war ein Wirtshaus. Sprach das Schneiderlein: »Hunger haben wir alle vier, aber wie ein Sechskreuzerstück aussieht, habe ich seit langem vergessen.«
»Nichts weiter als das ?« sagte der erste Hund.
»Geh du nur hinein und bestelle für vier Mann Essen und Trinken und kümmere dich nicht um das Bezahlen, dafür lass uns sorgen.«
Dem Schneiderlein wuchs der Mut, als er das hörte. Er schwang seine Elle dreimal über dem Kopf, ging in das Wirtshaus, schlug mit der Faust auf den Tisch und bestellte vier Gedecke und Essen, soviel das Haus vermöchte, Gesottenes und Gebratenes nebst Wein und Bier. Dann warf er sein Felleisen und seinen Hut auf die Bank, die Elle in die Ecke und sich selbst in einen bequemen Lehnstuhl.
Als nun das Essen aufgetragen war, ging die Tür auf, und die drei Hunde stürzten herein, sprangen jeder auf einen Stuhl und fingen an zu essen und zu trinken wie die Menschen, so dass die Wirtin über solchen Verstand die Hände über dem Kopfe zusammenschlug.
Nach dem Essen sprach der eine Hund: »Nimm den Weg zwischen die Beine, lass aber alles hier liegen, es kommt dir nichts fort!«
Da ging das Schneiderlein mir nichts, dir nichts weg, und die Wirtin ließ ihn gehen, weil er sein Felleisen, seinen Hut und seine Elle zurückließ. Er wird gleich wiederkommen, dachte sie, und will sich nur im Orte umsehen. Sobald die Wirtin aber den Rücken gewandt hatte, packte jeder der drei Hunde eines der drei Stücke, dann sprangen alle zur Türe hinaus und brachten alles wieder zu ihrem Herrn. Da hatte denn die Wirtin das Nachsehen.
Guten Mutes zog das Schneiderlein weiter. Einer der Hunde lief voraus und zeigte den Weg. Bald kamen sie wieder in den Wald, und nachdem sie darin schon so manchen Schritt und Tritt getan hatten, fanden sie auf einem freien Waldplatz ein großes Schloss. Da blieb der erste Hund stehen.
»Hast du Mut?« fragte er das Schneiderlein. »Mehr als Geld«, war die Antwort.
»Dann binde uns an ein Seil, führe uns in das Schloss und verkaufe uns an die Riesen, die da wohnen. Traue ihnen aber nicht, denn sie sind tückisch und arglistig! Damit du vor ihnen sicher bist, wollen wir dir jeder etwas schenken, das wende wohl und klug an, und dein Glück ist gemacht.«
Dann gab er ihm ein Salbentöpfchen. Wenn man aber mit dieser Salbe einen Stuhl bestrich, dann blieb jeder daran hängen, der sich draufsetzte. Der zweite gab ihm ein Stöcklein. Wem man damit aufs Haupt schlug, der tat keinen Pieps mehr. Der dritte gab ihm ein Hörnlein und sprach: »Wenn du in Not kommen solltest, blase nur darauf, und so werden wir dir helfen.«
»Ich muss erst versuchen, ob ich auch blasen kann«, sagte das Schneiderlein, »wenn man so harte Arbeit tut wie ich, dann wird einem der Atem kurz«, setzte das Hörnlein an den Mund und blies hinein. Ach, was das für einen Klang hatte! Es war aber nicht des Schneiderleins Atem, der ihm den Klang gab, denn der war so dünn wie eine Nähnadel. Das Schneiderlein steckte nun getrost die drei Geschenke ein und ging mit ihnen in das Schloss. Da kam es oben an der großen Treppe in einen weiten und hohen Saal, wo die Riesen an einer langen Tafel saßen und aus Bechern tranken, von denen jeder wohl ein Viertelohm fasste. Das Schneiderlein zog höflich seinen Hut und fragte, ob die Herren Riesen nicht drei schöne Hunde kaufen wollten. Sie beschauten die Hunde rechts und links und sprachen: »Wir behalten sie und wollen sie gleich in den Stall sperren. Warte du derweil, bis wir wiederkommen. Dann bekommst du dein Geld.«
Dabei lachten sie einander boshaft zu und warfen Blicke auf das Schneiderlein, die ihm nichts Gutes versprachen. Pfeift der Wind aus dem Loche? dachte der Ritter von der Elle, dann will ich euch schon den Spaß verderben. Er kletterte an den Stühlen hinauf und schmierte sie mit seiner Salbe ein, oben und unten, vorn und hinten. Das war sein Glück, denn draußen hielten die Riesen Rat, wie sie das Schneiderlein mit Ehren totmachen und fressen könnten. Wenn es auch ein magerer Bissen sei, so war ihnen doch Menschenfleisch etwas Neues, und sie wollten vorlieb nehmen, bis sie etwas Besseres bekämen.
Als sie wieder hereinkamen, sagten sie zu dem Schneiderlein, es habe sie im Handel betrogen, die Hunde seien nicht soviel wert, und darum müsse es nun gefressen werden. Da sprach das Schneiderlein:
»Ich will gern sterben, wenn ich es verdient habe, aber nicht ohne Urteil und Recht. Haltet zuvor ordentlich Gericht über mich, dann will ich mich verteidigen. «
Die Riesen lachten, rückten die Stühle in einen Halbkreis und sprachen: »Nun fang an, du Erdenwurm!«
»Setzt euch alle zuvor, wie es einem ordentlichen Gerichte gebührt!«
Als sie dies getan hatten, nahm das Schneiderlein einen Schemel, setzte sich vor sie hin, stopfte sich eine Pfeife und blies die dicken Wolken nur so aus.
»Wird's bald?« fragten die Riesen.
»Ei, ich bin schon fertig. Nun mögt ihr euch verteidigen, denn ich verurteile euch alle zum Tode. «
Die Riesen lachten anfangs. Als ihnen aber die Sache zu lange dauerte, wollten sie aufstehen und das Schneiderlein fassen. Aber sie klebten alle fest, und keiner konnte ein Glied rühren.
»Nun, wird's bald?« fragte das Schneiderlein und lachte, nahm sein Stöckchen und schlug ihnen allen auf die Köpfe, einem nach dem andern, und sie fielen um und waren tot. »Jetzt will ich von der Arbeit ausruhen«, sagte das Schneiderlein zu sich selbst. im gleichen Augenblick aber hörte es, wie einer mit schweren Tritten die Treppe heraufkam. Die Tür flog auf und herein trat ein Riese. Der war noch einmal so groß wie die andern. Es war aber der Riesenkönig, und er kam eben von der Jagd nach Hause. Als er nun sah, was hier vorgegangen war, fragte er das Schneiderlein, wer die Riesen erschlagen habe.
»Das habe ich getan.«
»Hast du das getan, dann bekommst du deine Strafe dafür. Zum Fressen bist du zu schlecht, aber als Spatzenscheuche kannst du allenfalls dienen. Darum will ich dich in den Garten hängen. «
Damit hob er das Schneiderlein bei den Beinen hoch und trug es in den Garten, wo ein hoher Galgen stand. Er setzte es oben drauf und fing an, die Schlinge zu drehen.
Da besann sich das Schneiderlein kurz, zog sein Hörnlein aus der Tasche und blies aus Leibeskräften hinein, dass es zehn Meilen in die Runde scholl. Mit einemmal standen die drei Hunde da und hatten ihre zerrissenen Ketten am Halse.
»Schneiderlein, steig herab!« sprach der erste. »Ich darf nicht, der da will mich hängen.«
Da fielen die drei Hunde über den Riesenkönig her und zerrissen ihn in tausend Stücke.
Das Schneiderlein warf sich vor lauter Freude den Hunden an die Hälse und tanzte wie besessen auf einem Bein herum. Der erste von den Hunden aber sprach: »jetzt ist das Schloss von den Riesen befreit und erlöst, und nun musst du uns dreien noch die Köpfe abhauen. «
»Das tue ich nie und nimmermehr«, antwortete das Schneiderlein.
»Dann zerreißen wir dich wie den Riesen.«
»ja, wenn ihr's durchaus nicht anders wollt, dann tue ich euch den Gefallen.«
Es holte ein Schwert, fasste es mit beiden Händen und schlug den Hunden die Köpfe ab, drehte sich aber schnell um, denn es konnte kein Blut sehen. Als jemand hinter ihm seinen Namen rief, fuhr das Schneiderlein erschrocken herum, und es stand ein König vor ihm mit zwei wunderschönen Prinzessinnen. Der sprach:
»Du bist unser Erlöser, denn wir waren die drei Hunde und waren verwünscht. Zum Dank dafür gebe ich dir eine meiner Töchter zur Frau. «
Da griff das Schneiderlein rasch nach der ältesten, und sie gingen nach dem Schlosse. Dort war aller Zauber verschwunden, und die Zimmer wimmelten von Hofherren und Dienern. Als sie aber durch die Fenster schauten, war der ganze Wald in eine prächtige Stadt verwandelt, die kleinen Bäume waren Häuser, die großen Kirchen und Kirchtürme. Aus den Vögeln aber waren lauter fleißige Menschen geworden, und überall war Jubel und Freude, wohin man nur sah.
Am folgenden Tage aber wurde die Hochzeit gehalten, und wären du und ich dazugekommen, denk mal, was wäre das für eine Freude gewesen.